Filmkritik

Do 14. November und Di 19. November 17.30 und 20 Uhr
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Der unverhoffte Charme des Geldes

Drama

Regie: Denys Arcand

mit: Alexandre Landry (Pierre-Paul Daoust) · Maripier Morin (Camille Lafontaine) · Pierre Curzi (Maître Wilbrod Taschereau) · Rémy Girard (Sylvain "The Brain" Bigras) · Maxim Roy (Carla McDuff)

Kanada 2018 | 122 Minuten | ab 12

Ein Lieferwagenfahrer aus Montréal kommt durch einen Zufall an eine gewaltige Summe Bargeld. Während sich ihm die Kriminellen der Stadt und die Polizei an die Fersen heften, sinnt der gebildete Philanthrop nach Wegen, um das Geld an Mittellose zu verteilen. Das moderne Gaunermärchen verwandelt klassische Genre-Topoi sukzessive in ein Amalgam aus Satire und moralphilosophisches Traktat, das die eigene Großzügigkeit aber penetrant in den Vordergrund rückt und in seinem gesellschaftskritischen Ethos schlicht antiquiert wirkt. - Ab 14.

Langkritik:

Modernes Gaunermärchen um einen gebildeten Paketzusteller, dem zwei Taschen Geld aus einem Raubüberfall in die Hände fallen und das er an Mittellose verteilen will.

Pierre-Paul (Alexandre Landry) ist ein Musterbürger. Er stellt pünktlich seine Pakete zu, engagiert sich in seiner Freizeit für die Obdachlosenhilfe und käme nie auf die Idee, ein Verbrechen zu begehen. Doch soziale Interaktionen bringen ihn immer wieder ins Schleudern. Das liegt weniger an seinem langweilig-beständigen Lebensstil als an seinem tiefgreifenden Kulturpessimismus. Der hochbegabte Lieferwagenfahrer hat in Philosophie promoviert und gelernt, dass die wirklich Intelligenten einsam und verloren sind, während es stets die Idioten sind, die in die obersten Ränge der Eliten vordringen.

Idioten wie Dostojewski und Céline (der eine Spieler, der andere Faschist) müssen in langen Vorträgen, die er seiner Freundin bis zur Trennung hält, herhalten, damit Pierre-Paul mit der Welt abrechnen kann. Doch die Welt verschwört sich kurzerhand gegen den Außenseiter und wirft ihm am Tatort eines Raubüberfalls eine Tasche voll Bargeld vor den Lieferwagen. Wie im Märchen stolpert der hochgebildete und doch grenzenlos naive Pierre-Paul mit den geklauten Millionen von einem Fettnäpfchen ins nächste, bleibt dabei aber der Polizei und Montréaler Gangs stets einen Schritt voraus.

Triumvirat der Ausgegrenzten

Zusammen mit dem Escort-Girl Aspasia (Maripier Morin) und dem Ex-Biker Sylvain (Rémy Girard), die er dabei kennenlernt, bildet der unverhoffte Millionär eine Art Triumvirat der Ausgegrenzten, das Regisseur Denys Arcand dazu dient, allerlei philanthropische Gesten auszuteilen. Wenn Pierre-Paul ein Dutzend Mal im Film an einem Obdachlosen vorbeigeht, ist er sich nie zu schade, einen Teil seines hart verdienten Kleingelds zu spenden. Meist kennt er sogar den Namen der Person, die ihm den leeren Pappbecher entgegenstreckt. Ein Bild, das wieder und wieder beweisen muss, dass der Protagonist ein Auge für den kleinen Mann hat. Um zu betonen, dass hier nicht nur in der diegetischen Welt eine Lanze für die Mittellosen von Montréal gebrochen werden soll, verlegt Arcand die Geste zusätzlich in den Abspann des Films, der die Gesichter der vorwiegend indigenen Obdachlosen Montréals zeigt.

So freigiebig der kanadische Regisseur mit solidarischen Bekundungen und einfachen Weltbildern um sich wirft, so rigoros höhlt er seinen gescheiterten Einbruchs-Plot sukzessive mit ironischer Distanz aus. Egal, ob sich die Gangs von Montréal auf der Suche nach dem Geld gegenseitig über den Haufen schießen oder die Polizei zur Ermittlung aufkreuzt: stets hängt Arcand eine sarkastische Fußnote an. Jeder Genre-Topos ist in „Der unverhoffte Charme des Geldes“ ein falsches Versprechen, das nur dazu dient, einen ebenso spröden wie antiquierten Vortrag über soziale Ungleichheit in ein Bonbon-Papier zu wickeln, auf dem „Räuber und Gendarm“ geschrieben steht. Unterfüttert wird dies mit den philosophischen Schlagwörtern, die Arcand für passend hält. Zur Rettung eines Diebs fühlt sich Pierre-Paul durch Kants kategorischen Imperativ verpflichtet. Wenn der an anderer Stelle über den Haufen geworfen wird, zaubert der Film stattdessen Marc Aurel und Ludwig Wittgenstein aus dem Ärmel.

Kant als Stichwortgeber

Wie der Genre-Plot sind die Großen der Philosophie nur ein falsches Label, unter dem Arcand sein sittliches Programm verkauft. Zwischen Kants Moralphilosophie und Pierre-Pauls Handeln gibt es aber so wenig Überschneidungspunkte wie zwischen den Gangs und den eigentlichen Verbrechern, mit denen der Film abzurechnen versucht: den korrupten Regierungen, Großkonzernen, Spekulanten, Lohndumpern und Steuerhinterziehern unserer Welt. Arcand braucht sie nur als Stichwortgeber, um den holprigen Gerechtigkeitsfeldzug gegen das wahre Verbrechen an den Schwachen und Mittellosen loszutreten.

Als dieses Ziel dann näher rückt, finden die ausgestreuten moralphilosophischen Handlungsgrundlagen aber keine Anwendung mehr. Der Zweck heiligt zu jeder Zeit die Mittel. So ist Arcands regelmäßig wiederholte Anklage, dass Staat und Großkonzerne an allem Elend schuld seien, letztlich keine Kritik an Strukturen, sondern nur eine am Personal. Das Establishment wird schlicht durch bessere, weil großmütige Menschen ersetzt: einen hochintelligenten Lieferwagenfahrer, eine gebildete Escort-Dame mit Herz und einen Ex-Rocker, der sich im Knast zum Finanzberater umgeschult hat.

Wenn die Ehrlichen die Unehrlichen berauben, mit deren Geld spekulieren und keine Steuern mehr entrichten, hat Denis Arcand die Utopie etabliert, die das US-amerikanische Imperium – wie der Film im Originaltitel heißt – untergehen lässt.

Dass die obersten Werte damit wertlos werden, ist dem kanadischen Regisseur dann aber keine moralphilosophische Fußnote mehr wert.

Karsten Munt, FILMDIENST