Filmkritik

Di 18. August 19.30 Uhr (evtl. auch nachmittags 16:30 Uhr)
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Gott existiert, ihr Name ist Petrunya

Drama

Regie: Teona Strugar Mitevska

mit: Zorica Nusheva (Petrunya) · Labina Mitevska (Journalistin Slavica) · Simeon Moni Damevski (Chefinspektor Milan) · Suad Begovski (Priester) · Stefan Vujisic (Junger Polizist Darko)

Mazedonien/Belgien/Slowenien/Frankreich/Kroatien 2019 | 100 Minuten | ab 12

Eine arbeitslose Historikerin aus der nordmazedonischen Stadt Štip gerät nach erniedrigenden Erfahrungen bei der Jobsuche in eine religiöse Prozession und lehnt sich spontan gegen die ehernen Regeln der Tradition auf, indem sie als erste Frau ein kleines Kruzifix aus einem eiskalten Fluss fischt, was ihr ein Jahr lang Glück bescheren soll. Die feministisch-burleske Passionsgeschichte nutzt die dadurch ausgelöste Welle der Empörung, um die frauenfeindlichen Strukturen zu demaskieren. Eine temporeiche Komödie, die ohne Bitterkeit, aber mit gebotener Schärfe die patriarchalen Effekte monotheistischer Religionen hinterfragt. - Sehenswert

Langkritik:

Der sonore Gesang einer religiösen Prozession hallt durch eine karge, kalte Landschaft. Männer mit weißen Bärten schreiten in schwarzen Gewändern langsam voran, im Wissen, dass ihr Gang das Gewicht jahrhundertealter Traditionen besitzt. Ehrfürchtig tragen sie Kruzifixe vor sich her, die sowohl Insignien des Glaubens wie auch Versicherung einer patriarchalen Gesellschaftsordnung sind. Diese zu durchkreuzen hat sich die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska vorgenommen, und es gelingt ihr mit ebenso viel Charme wie Schlagfertigkeit.

Sie schneidet in den Festzug der alten Männer immer wieder Bilder von Ikonen und Heiligen, bis die Kamera schließlich auf dem Körper einer jungen Frau (Zorica Nusheva) verweilt. Unter einer Decke versteckt versucht sie sich den übergriffigen Forderungen ihrer Mutter zu entziehen. Petrunya soll essen, sie soll sich etwas Hübsches anziehen und vor allem soll sie sich zu einem arrangierten Vorstellungsgespräch aufmachen. Für die arbeitslose Historikerin mit exzellentem Abschluss besteht der Alltag im nordmazedonischen Štip nur aus Imperativen, die ihr im Gegenzug keinerlei Perspektive anbieten. Dass niemand Interesse an einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte hat, zeigt sich nicht nur in der Ablehnung ihrer Berufswahl. Überall stößt Petrunya auf unhinterfragte Strukturen, deren Sexismus ebenso eklatant wie selbstverständlich ist.

Eine feministische Passionsgeschichte

Die Bewerbung um einen Job als Sekretärin in einer Näherei wird zur absurden Farce. Der Chef hat seinen Schreibtisch in einem Glaskasten mitten in der Fabrikhalle aufgebaut und lässt keine Gelegenheit aus, Petrunya die bereits erwartete Demütigung zuteil werden zu lassen. Unter den Augen der geschminkten Angestellten an den ratternden Nähmaschinen wird sie mit Beleidigungen bombardiert. Sie sei fett und hässlich, alt und nutzlos, unfähig und armselig, wettert er. Den Tiefpunkt der Entgleisungen bildet ein Griff an Petrunyas Schenkel, der nur dazu dient, ihre vermeintliche Unattraktivität zu unterstreichen.

Über eine burleske Inszenierungsweise gelingt es Mitevska, die anhaltende Diskriminierung von Frauen zu thematisieren, ohne ihren Humor einzubüßen. Die dramatischen Übertreibungen lassen ihre Gesellschaftskritik dabei nur noch bissiger werden.

Unter dem Eindruck dieser Erniedrigung kreuzt Petrunyas auf ihrem Weg den Marsch der Geistlichen. Es ist der Feiertag der Heiligen Drei Könige, der im julianischen Kalender mit der „Epiphanie“, dem Erscheinen des Herrn verbunden wird. Im Brauchtum der Ostkirche findet am 6. Januar eine rituelle Wasserweihe statt, um der Taufe Jesu Christi zu gedenken. „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ entfaltet seinen ironischen Titel in diesem Zusammenhang. Als die junge Frau von einer halbnackten Männerhorde auf dem Weg zum Fluss abgedrängt wird, wandelt sich ihr sozialer Leidensweg zu einer feministischen Passionsgeschichte. In einem deutlichen Testosteron-Überschuss lauern die Entkleideten darauf, dass der Priester ein kleines Holzkreuz zur Segnung ins eiskalte Wasser fallen lässt, damit sie es aus der Strömung fischen können. Dem Sieger winkt angeblich ein volles Jahr Glück. Hier trifft lokales Brauchtum auf die christliche Religion. Dass Petrunya von ihren unverschuldeten Niederlagen genug hat und sich in einem Augenblick der Epiphanie selbst in die Fluten stürzt, obwohl dies nur Männern vorbehalten scheint, stellt die väterliche Ordnung restlos auf den Kopf.

Sprung ins kalte Wasser

Unter den Augen einer fassungslosen Menge streckt Petrunya wie eine kämpferische Amazone das Holzkreuz zum Himmel. Ein verblüffender Sieg, der ihr von der wütenden Meute sofort genommen wird. In seiner Überraschung lässt der Priester zunächst gelten, was niemand wahrhaben will, und Petrunya läuft mit ihrem neugewonnenen Talisman davon. Die Welle der Empörung folgt ihr jedoch auf dem Fuß: Ein Handyvideo ihres rebellischen Akts sorgt im Internet für Aufsehen, und die elegante Lokalreporterin Slavica Janeva sieht in dem Vorfall ihre Chance, etwas für den Fortschritt des Landes zu tun und gleichzeitig die eigene Karriere zu befördern.

In den beengten Räumen des lokalen Polizeipräsidiums kommt es zum theatralen Showdown zwischen den Parteien. Zugleich geraten die Vertreter der patriarchalen Ordnung immer mehr an die Grenzen ihrer eigenen Legitimation, ohne dass Petrunya dabei mehr tun müsste, als auf ihrem Eigensinn und der Faktenlage zu bestehen. Stoisch wie die Jungfrau von Orléans widersteht sie Drohungen, Verhören und Beschimpfungen. Umgeben von einem ebenso wildgewordenen wie hilflosen Männerzirkus, der sich selbst der Lächerlichkeit preisgibt, findet Petrunya nicht nur zu einer unerwartet zarten Begegnung mit einem der Polizisten, sondern vor allem zur inneren Überzeugung, dass sie es verdient, glücklich zu werden.

Die feministische Kritik von Teona Strugar Mitevska richtet sich jedoch nicht nur auf die männlichen Vertreter des Patriarchats. In den zentralen Szenen des Films stehen Petrunyas Auseinandersetzungen mit ihrer verbitterten Mutter im Vordergrund, und damit auch der weibliche Anteil an Fortbestand der Unterdrückung. Denn die schlimmsten Entwertungen und Herabsetzungen ereignen sich in der Reproduktion der Misogynie durch die Verwerfung der eigenen Tochter. Neben dem eher blassen Vater, der sich Petrunya zugewandt hat, erscheint ihre Mutter bis zum Schluss als treibende Kraft der Beschämung und Disziplinierung im Namen einer männlichen Herrschaft.

Quer zu den Traditionen

Mit der ebenso mutigen wie verletzlichen Petrunya hat die Regisseurin eine filmische Galionsfigur für die weibliche Emanzipation geschaffen, die man sofort ins Herz schließt. Ohne Bitterkeit, aber mit der nötigen Schärfe gelingt ihr eine temporeiche Komödie, die sich, ohne auf Klischees zurückzugreifen, mit den patriarchalen Effekten der monotheistischen Religion auseinandersetzt.

Im grotesken Kampf um das kleine Holzkreuz werden nicht nur Geschlechterverhältnisse verhandelt, sondern auch die Frage, welchen Stellenwert das Symbolische für eine Gesellschaft einnimmt. Während die Männer an dem kultischen Gegenstand wie an einem Fetisch festhalten, ist Petrunya längst viel weiter. Das Kruzifix wird für sie zu einem Bild dessen, was alles möglich wird, wenn man sich gegen die rigiden Traditionen auflehnt.

Silvia Bahl, FILMDIENST