Filmkritik

Di 8. September 19.30 Uhr (evtl. auch nachmittags 16:30 Uhr)
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Jojo Rabbit

Drama

Regie: Taika Waititi

mit: Roman Griffin Davis (Jojo) · Thomasin McKenzie (Elsa) · Scarlett Johansson (Rosie) · Taika Waititi (Adolf) · Sam Rockwell (Captain Klenzendorf)

Neuseeland/USA/Tschechien 2019 | 108 Minuten | ab 12

Ein zehnjähriger Junge versucht im Dritten Reich ein guter Nazi zu sein, sein imaginärer Freund Adolf Hitler steht ihm mit Rat und Tat zur Seite. Doch plötzlich steckt er in einem Dilemma: Seine Mutter hat auf dem Dachboden ein jüdisches Mädchen versteckt, in das sich der Junge prompt verliebt. Wovon der imaginäre Hitler freilich nicht begeistert ist. Eine nicht gänzlich überzeugende Nazi-Satire, die sich damit begnügt, die Dummheit ihrer bösartigen Figuren lächerlich zu machen und dabei zu häufig in Klamauk abgleitet. Dagegen funktioniert der Film gut als Geschichte ums Erwachsenwerden eines Jungen, um den Verlust der Unschuld, um Mitmenschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit, wozu auch die überzeugend aufspielenden HauptdarstellerInnen beitragen.

Langkritik:

Dass die Verkörperung von Adolf Hitler der Karriere eines Schauspielers nicht unbedingt hinderlich sein muss, bewies zuletzt Oliver Masucci in „Er ist wieder da“. Nun ist es Taika Waititi, bekannt als Regisseur von „Thor: Tag der Entscheidung“, der sich mit Überschwang die Rolle aneignet und gleichzeitig auch hier als Regisseur sowie als Drehbuchautor fungiert. Schmaler Schnurrbart, rechter Scheitel, linke Haartolle: fertig ist die Hitler-Karikatur, die allerdings – soviel als vorweggenommenes Fazit – zu brav und mutlos daher kommt. Es geht neckisch los, statt der berühmten Fox-Fanfare ertönt „Frühlingsstimmen“ von Johann Strauss, nach zahlreichen „Heil Hitlers“ singen die Beatles auf deutsch „Komm, gib mir deine Hand“ zu der Melodie von „I want to hold your hand“, während in Dokumentaraufnahmen zahlreiche Menschen die Hand zum Hitlergruß erheben.

Pop-Musik und Nazideutschland – Waititi vereint das Unvereinbare und erzählt die Geschichte von Johannes, einem zehnjährigen deutschen Jungen aus einem kleinen Ort namens Falkenheim. In einem Lager der Hitlerjugend soll der Bub unter Anleitung von Sam Rockwell als zynischem Hauptmann K. lernen, wie man Granaten wirft und durch den Schlamm robbt, wie man Gasmasken anlegt und Schusswaffen benutzt, wie man Bücher verbrennt und tötet. Rebel Wilson ist als Fräulein Rahm für die weiblichen Aspekte der Ausbildung verantwortlich – als Mutter von 18 Kindern gibt sie ihr diesbezügliches Wissen weiter. Jojo versagt so ziemlich bei jeder Übung, und weil er sich weigert, einen Hasen zu töten, hat er bald einen unschönen Spitznamen: Jojo Hasenfuß.

Hitler als imaginärer Freund und ein jüdisches Mädchen als erste Liebe

Immerhin steht ihm sein imaginärer Freund, nämlich Adolf Hitler, mit aufmunternden Sprüchen zur Seite. Der Junge wäre gern ein guter Nazi, doch plötzlich steckt er in einem Dilemma. Seine Mutter Rosie, dargestellt von Scarlett Johansson, hat auf dem Dachboden ein jüdisches Mädchen versteckt: Elsa (Thomasin McKenzie). Jojo ist verwirrt: Er hat noch nie mit einem Juden gesprochen und weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Dieses Mädchen sieht jedenfalls nicht aus wie ein Monster, Hörner hat es auch keine. Jojo streckt die Waffen, vergisst seine Vorurteile und verknallt sich. Zumindest zeugen davon die Zeichentrick-Schmetterlinge, die in seinem Bauch flattern. Adolf Hitler ist davon allerdings gar nicht begeistert.

Hitler als Doofmann, der viel dummes Zeug daherbrummelt und einem Steppke ständig Zigaretten anbietet – das war’s? Ein bisschen mehr Provokation hätte man schon erwarten dürfen. Waititi geht, basierend auf dem Buch „Caging Skies“ von Christine Leunens, auf Nummer sicher, wo er die Gefahr hätte suchen und auf die Pauke hauen müssen. Nur die Arme hoch zu reißen und zum x-ten Mal „Heil Hitler“ zu rufen, ist dann doch zu einfallslos und klamaukig, Mel Brooks grüßt schelmisch von weitem, und manchmal fragt man sich, was Wes Anderson mit seinem Sinn für Humor, Lakonie und Skurrilität aus diesem Stoff gemacht hätte; sein Film „Moonrise Kingdom“, der in einem Pfadfinder-Sommerlager spielte, hätte als Blaupause dienen können. Für eine Satire ist „Jojo Rabbit“ jedenfalls nicht scharf genug, für eine Komödie nicht lustig genug. Wie denn auch, wenn fünf Leichen auf dem Marktplatz für jeden sichtbar vom Galgen baumeln und die Alliierten zu Arthur Lees „Everybody’s gotta live“ ihre Bomben abwerfen?

Eine Coming-of-Age-Story, die dank der Darsteller Herz hat

Doch vielleicht geht es hier auch um etwas anderes: um das Erwachsenwerden eines Jungen, um den Verlust der Unschuld, um Mitmenschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit. „Wir sind wie ihr, nur menschlicher“, sagt Elsa einmal, den Antisemitismus ad absurdum führend. „Das Leben ist ein Geschenk“, hält Rosie dagegen, die Todessehnsucht der Nazis hinterfragend. Titeldarsteller Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie und Scarlett Johansson bringen mit ihren Darstellungen jedenfalls sehr viel Wärme in den Film. Sie sind die einzigen Figuren, die nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden, und darum singt am Schluss David Bowie auf deutsch von den „Helden“ für eine Nacht.

Wobei angemerkt sein sollte: Die Filmkritik beruht auf Sichtung der englischen Originalversion und der synchronisierten deutschen Fassung. Im Original sprechen die Figuren englisch mit übertrieben starkem deutschen Akzent. Angesichts der Tatsache, dass alle Figuren Deutsche sind, die in Deutschland leben, ist das weder sinnvoll noch lustig, wurde von einigen Kritikern aber als Verfremdungseffekt gelobt.

Michael Ranze, FILMDIENST