Filmkritik

Di 27. Oktober 19.30 Uhr (evtl. auch nachmittags 16:30 Uhr)
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Undine (2020)

Drama

Regie: Christian Petzold

mit: Paula Beer (Undine) · Franz Rogowski (Christoph) · Maryam Zaree (Monika) · Jacob Matschenz (Johannes) · Anne Ratte-Polle (Anna)

Deutschland/Frankreich 2020 | 89 Minuten | ab 12

Die Stadthistorikerin Undine wird von ihrem Freund verlassen. Der Mythos will, dass sie den Mann, der sie verrät, tötet und danach ins Wasser zurückkehrt. Doch anders als die Sagenfigur entscheidet sich die Protagonistin für eine neue Liebe. Der Film modernisiert in der Nachfolge von Ingeborg Bachmanns Erzählung „Undine geht“ den alten Mythos der Wasserfrau und rückt eine moderne Halbweltfigur ins Zentrum. Er erzählt auch mit Blick auf die Berliner Stadtgeschichte vom Ausstieg einer Frau aus der Wiederholungsschleife und verbindet auf anrührende Weise romantisches Märchen, Unterwasserabenteuerfilm und Gegenwartsrealismus. - Sehenswert

Langkritik:

„... wenn ich eines Tages freikam aus der Liebe, mußte ich zurück ins Wasser gehen, in dieses Element, in dem niemand sich ein Nest baut, sich ein Dach aufzieht über Balken, sich bedeckt mit einer Plane. Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben. Tauchen, ruhen, sich ohne Kraft bewegen – und eines Tages sich besinnen, wieder auftauchen ...“, so schreibt Ingeborg Bachmann in ihrer Erzählung „Undine geht“, in der sie den Mythos der Wasserfrau vom Kopf auf die Füße stellt und eine weibliche Stimme gegen den Fluch der Wiederholung aufbegehren lässt.

Auch die von ihrem Freund verratene Undine Wibeau in Christian Petzolds „Undine“ ist dem Wasser zugetan. Aus einem Aquarium, das kurz darauf explodiert, ruft es nach ihr. Ein Wasserhahn läuft wie von Geisterhand aufgedreht. Sie verliebt sich in einen Industrietaucher, mit dem sie durch einen Stausee taucht, als habe sie der Unterwasserwelt schon immer angehört. Auch die türkisfarbenen Vorhänge in ihrer Wohnung verweisen aufs Wasser - aber auf die Farbe von OP-Kleidung - ; gegen Ende des Films führt sie ein „Auftrag“ zu einem Swimmingpool.

Ein aquarischer Film

„Undine“ ist zu großen Teilen ein aquatischer Film, der sich immer wieder unter die Wasseroberfläche begibt, hinab ins milchig, gräulich-grüne Reich eines Stausees an der Wupper, zwischen Brückenköpfe, Turbinen und Schlingpflanzen. Sogar ein zwei Meter langer Wels namens Gunter dreht dort seine einsamen Runden. Die „Oberseite“ des Films lässt sich bald gar nicht mehr ohne das Unten betrachten.

Selbst da, wo sich die Welt scheinbar am Klarsten und Aufgeräumtesten zeigt, verbergen sich Untiefen. Sichtbar werden sie dann, wenn die Historikerin Undine im Stadtmuseum die Geschichte Berlins anhand von Modellen erklärt und sich hinter den akkuraten Oberflächen der Miniaturwelt die Schichtungen und Überschreibungen der Historie offenbaren. Der Name Berlin beschreibe zum einen Sumpf, zum anderen eine trockene Stelle im Sumpf, erklärt Undine einer Besuchergruppe. Mit dem wiederaufgebauten Schloss, dem Humboldt-Forum, steht auf dem ehemaligen Sumpfgelände nun ein Museum in Gestalt eines Herrscherschlosses des 18. Jahrhunderts.

Im Film kommt es zu einem Kurzschluss zwischen städtebaulicher Restauration und einem weiblichen Handeln, das nach vorne will. Petzolds Undine steht so gesehen ganz in der Nachfolge von Ingeborg Bachmann. Zwar ist sie keine Frau, die ihre Wut sarkastisch in die Männerwelt hinausspricht und anklagt. Aber auch sie ist entschlossen, aus der Wiederholungsschleife auszusteigen.

Eine große, romantische Liebesgeschichte

„Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten“. Das sagt Undine zu ihrem Freund Johannes, als er sie verlässt. Der Mythos, seit dem Mittelalter erzählt und in der deutschen Romantik erst richtig aufgeblüht (unter anderem in einer Märchennovelle von Friedrich de la Motte Fouqué), will, das sie dem untreuen Mann den Tod bringt und ins Wasser zurückkehrt – bis sie der nächste ruft und „beseelt“. Bei Petzold aber taucht plötzlich ein Mann auf, der Undine anders entscheiden lässt.

„Ich bin meistens unter Wasser“, sagt Christoph, der Industrietaucher. Ihr Vortrag hat ihm gefallen. Während dem Ex nichts anderes einfällt, als dass sie in ihrer Arbeitskleidung „sexy“ aussieht, findet Christoph, dass sie kluge Dinge auf eine schöne Weise sagt. Der Film schenkt dem Paar, das im Museumscafé unter dem berstenden Aquarium zusammenfindet und sich inmitten von Wasserpfützen, Glasscherben und Zierfischen erkennt, eine große, romantische Liebesgeschichte.

Auch wenn vieles an „Undine“ an frühere Arbeiten des Regisseurs Christian Petzold anschließt – das Gespensterhafte, die Unbehaustheit der Figuren, die sich durch die Gegenwart arbeitenden historischen Bruchlinien – ist eine so unverstellte und arglose Liebe im Petzold-Universum doch ziemlich neu. Die Frauenfiguren seiner Filme, so autonom und handlungsfähig sie auch immer angelegt waren, schienen ja meist durch einen männlichen, projektiven Blick vermittelt. Stets war die Liebe durch systemische oder andere Zwänge kontaminiert. Hier aber hat man es erstmals mit einem Paar zu tun, das sich in der Begegnung auch tatsächlich meint (und nicht die Rettung, die Ausflucht, einen Zweck).

Das Spiel mit den Kontrasten

Paula Beer, die noch in „Transit“ etwas ätherisch durch den Film huschte, gibt ihrer Figur etwas sehr Greifbares, ganz und gar Unwässeriges. Und die physische Präsenz von Franz Rogowski ist so zugewandt und zärtlich und fern aller Herrschaftsmechanismen, die sich sonst in fast jedes Körperspiel einschleichen. Die Liebe zwischen Undine und Christoph ist ein schönes Märchen. Sie ist unschuldig und hält nichts zurück. Bevor der Fluch sie einholt.

Dass der Film die Geschichte um den Fluch der Wasserfrau etwas ungelenk zu Ende bringt, nimmt ihm nicht viel. „Undine“ lebt von den – nicht immer scharf gezogenen – Kontrasten zwischen oben und unten, zwischen Sage und Gegenwartserzählung. Die Brüche haben ihren eigenen Reiz. So stehen die Farocki-haften Museumsszenen, in denen die Kamera über die verschiedenen Stadtmodelle gleitet, relativ unverbunden neben den Unterwasserszenen. Mit ihrem verwunschenen Zauber erinnern diese an klassische Abenteuerfilme wie die Jules-Vernes-Adaption „20 000 Meilen unter dem Meer“. Aber auch die Tusche-Malereien eines Studio-Ghibli-Films kommen einem in den Sinn. Petzolds Romantik hat nichts von der religiösen Erhabenheit deutscher Seelenerkundungen, sie ist eher verspielt und kindlich. Nicht von ungefähr spielt die kleine Spielzeugfigur eines Industrietauchers eine wiederkehrende – und prophetische – Rolle.

Tatsächlich beschreibt Bachmanns „Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben“ die Grundstimmung aller Petzold-Film „in a nutshell“. In „Undine“ aber gibt es am Ende doch ein Gefühl des Angekommenseins, auch wenn ihm nicht ganz über den Weg zu trauen ist. Der letzte Blick aus den Tiefen des Wassers hat etwas zutiefst Beunruhigendes.

Esther Buss, FILMDIENST