Komödie
Regie: Artus
mit: Artus (Paul / Sylvain) · Clovis Cornillac (La Fraise / Orpi) · Alice Belaïdi (Alice) · Marc Riso (Marc) · Céline Groussard (Céline)
Frankreich 2024 | 100 Minuten | ab 6
Als zwei Juwelendiebe untertauchen müssen, schließen sie sich spontan einer Reisegruppe behinderter Menschen an. In der Provinz versuchen die beiden Gauner zunächst widerwillig, die falsche Fassade aufrechtzuerhalten, freunden sich dann aber mit der Gruppe an. Eine warmherzige Komödie mit rustikalem Humor, die das Menschliche als verbindendes Element betont und in der die von behinderten Darstellern gespielten Figuren weder verniedlicht noch bevormundet werden. Zwar erzwingt der Film manchmal mit etwas plumpen Stilmitteln eine Wohlfühl-Atmosphäre, wahrt aber dennoch die Balance zwischen Situationskomik und Sentimentalität. - Ab 14.
Vor dem alljährlichen Ausflug ins Ferienlager für behinderte Menschen versuchen die Betreuer das Chaos zu bewältigen. Doch schon der Gang zum Bus erweist sich mit den eigensinnigen Teilnehmern als erstes Hindernis. In einer ähnlichen Aufregung befinden sich der Räuber Paul (Artus) und sein Vater La Fraise (Clovis Cornillac), die unweit davon ein Juweliergeschäft ausräumen. Ein abgeschleppter Fluchtwagen bringt die beiden Geschichten schließlich zusammen.
Um sich vor der Polizei zu verstecken, gibt sich Paul als behindert aus und La Fraise als sein Pfleger. Die List gelingt, und die beiden schließen sich der Reisegruppe an. Aber schon das Schmierentheater, das Paul mit denkbar stereotyper Mimik veranstaltet, zeigt, wie unterschiedlich die Welten sind, die hier aufeinanderprallen.
Mit rustikalem Humor
Für das Regiedebüt des Komikers Artus sind es gerade die Gegensätze, die zum Fundus des rustikalen Humors werden. Die Kriminellen sind plötzlich mitten in der Provinz gefangen, wo sie sich sichtlich unwohl fühlen. Peinliche Situationen zwischen Paul und dem überfürsorglichen Betreuer Marc (Marc Riso) sorgen ebenso wie die bröckelnde Fassade des cholerisch-unsensiblen La Fraise für einige Lacher.
Freilich wird Paul von seinen Mitbewohnern schnell als Betrüger entlarvt und auch gleich fürs Rückenschrubben erpresst. Doch der gegenseitige Umgang gewinnt bald freundschaftliche Dimensionen, wenn der smarte Arnaud (Arnaud Toupense) Paul zu mehr Feinheiten bei seiner Maskerade verhilft oder sich im Gegenzug helfen lässt, seine heimliche Liebe Marie (Marie Colin) zu beeindrucken. Der griesgrämige La Fraise entwickelt währenddessen einen besonderen Draht zu dem jungen Fußballfan Baptiste (Théophile Leroy).
Die Unterschiede treten zurück
Mit zunehmender Dauer lässt „Was ist schon normal?“ die Unterschiede in den Hintergrund treten und betont das Verbindende. Artus setzt dabei auf typisierte Figuren und ein paar Flachwitze, vermeidet es meistens aber, die behinderten Darsteller in ihren Rollen zu bevormunden oder zu verniedlichen. Abgesehen von dem zum reinen Kuriosum getrimmten Crossdresser Boris (Boris Pitoëff) oder dem sich lediglich über seine Kippa definierenden Gad (Gad Abecassis) hat man es mit eigenständigen, exzentrischen Persönlichkeiten zu tun. Der Film schätzt vor allem das anarchische Potenzial seiner körperlich und geistig eingeschränkten Figuren. Stur, nur bedingt diszipliniert und mit einem Hang zu Kraftausdrücken lehnen sie sich immer wieder gegen das Reglement auf.
„Was ist schon normal?“ versucht das Dilemma der wohlmeinenden, aber hoffnungslos überarbeiteten Betreuer ebenso zu fassen wie das ihrer häufig von stupiden Aufgaben unterforderten Schützlinge. Letztlich geht es für alle darum, aus festgefahrenen Strukturen auszubrechen. Stellvertretend dafür steht der Running Gag, dass jeden Tag derselbe unappetitliche Matsch zum Essen serviert wird, abwechselnd als Lasagne und Moussaka betitelt.
Alle wollen geliebt sein
Statt auf Kontraste setzt Artus auf fließende Übergänge. Die waffenvernarrte Betreuerin Céline (Céline Groussard) wird mit dickem Pinsel als so durchgeknallt und unberechenbar gezeichnet, dass man ihr am liebsten selbst einen Pfleger an die Seite stellen möchte. Man erkennt die Absicht hinter solchen etwas plumpen Drehbuchtricks, aber das fällt nicht sonderlich ins Gewicht. Wenn der Film mit fortschreitender Laufzeit ins Herz zielt, versucht er die Unterschiede vollends aufzulösen. Das zerrüttete Vater-Sohn-Verhältnis der Räuber spiegelt sich dann in den Erzählungen der Behinderten wider, die von ihren Angehörigen oft aufs Abstellgleis gestellt wurden. Am Ende wollen alle nur geliebt und geschätzt werden.
Paul hat es auf die Betreuerin Alice (Alice Belaïdi) abgesehen, die ihrerseits zwischen der Leidenschaft für ihren Beruf und einem neuen Leben samt oberflächlichem Gatten im Ausland hin- und hergerissen ist. Leidenschaft und Menschlichkeit werden gegen Pflichtbewusstsein und Bürokratie verteidigt. Gegen Ende wird es manchmal doch zu sentimental. Mit Bildern von lachenden Gesichtern in Zeitlupe und Chansons von Dalida versucht Artus etwas sehr vehement, eine Wohlfühl-Atmosphäre zu erzwingen. Die Versöhnlichkeit, in der sich die Geschichte schließlich auflöst, zelebriert der Film aber durchaus mit emotionaler Wucht.
Michael Kienzl, FILMDIENST